Auf dem Blog von Queen-All, den ich schätze und regelmäßig lese, erschien kürzlich ein Artikel zu „Geplante Obsoleszenz – leider nicht obsolet“. Ein spannendes Thema! Bevor ich aber dazu kam, einen Kommentar zu hinterlassen, blieb ich beim zweiten Lesen am vorangestellten Zitat von Dorothy L. Sayers hängen:
Eine Gesellschaft, in der man den Konsum künstlich anreizen muss, um die Produktion in Gang zu halten, ist auf Abfall und Vergeudung gegründet und gleicht einem Haus, das auf Sand gebaut ist.
Man muss wissen, dass ich ein großer Fan der Romane um Lord Peter Wimsey bin. Sie begleiten mich seit fast 40 Jahren, und obwohl ich die Verfilmungen nie gesehen habe, würde ich den Schauspieler Ian Carmichael jederzeit erkennen, weil er auf den Einbänden abgebildet ist.
Aber mir war nicht bekannt, dass Sayers sich auch auf dem Gebiet Konsum und Verschwendung geäußert hat, ich wollte mehr dazu wissen. Als erstes habe ich versucht, „Glaube und Chaos“ ausfindig zu machen. Es war leicht herauszufinden, dass es sich dabei nicht um ein Buch mit durchgehendem Thema handelt, sondern um eine Sammlung von Essays. Vielleicht, so dachte ich, wäre das Zitat im titelgebenden Essay „Glaube und Chaos“ enthalten und bestellte mir antiquarisch den Band „Das größte Drama aller Zeiten“, der nicht nur den entsprechenden Essay enthielt, sondern auch einen Briefwechsel zwischen Karl Barth und Sayers. Karl Barth, das ist jener Schweizer Theologe, von dem es heißt, er wäre nur deshalb so alt geworden, weil Gott mehr über sich erfahren wollte. Ich war also gespannt. Als der Band dann kam, war das Zitat leider nicht darin zu finden. Aber aus dem Essay „Glaube und Chaos“ konnte ich schon erahnen, dass es irgendwie im Zusammenhang mit Arbeit aus christlicher Sicht stehen könnte.
An dieser Stelle überspringen wir diverse Google-Recherchen bis zu dem Punkt, an dem ich fündig wurde auf der Seite einer privaten katholischen Universität in Pennsylvania. „Why Work?“ ist der Titel des Essays, der im dritten Absatz genau dieses Zitat bringt. Zusammengefasst geht es Sayers hier um die Frage, wie vor dem Krieg produziert und konsumiert wurde, was sich durch den Krieg daran geändert hat, und ob man nach dem Krieg einfach so weiter machen sollte wie vor dem Krieg. Ihre Beschreibung der Verschwendung vor dem Krieg klingt tatsächlich aktuell, auch wenn sie zu ihrer Zeit (1940) nicht ahnen konnte, dass wir mit Plastik und Elektroschrott sehr viel größere Probleme bekommen würden als nur mit weggeworfenen statt gestopften Socken oder Glasflaschen, die nicht gesammelt wurden. Manches ist einfach grundfalsch, wie diese Aussage: „It is quite true that false Econimics are one of the root causes of the present war; and one of the false ideas we had about Economics was a false attitude both to Work and to the good produced by Work“. Anderes ist einsichtig und richtig, wie die Aussage, dass wir alle – du und ich – das System zum Einsturz bringen könnten, wenn wir uns dem Konsum und Schrott verweigern würden. Aber hauptsächlich geht es ihr um die Frage, was zu ändern ist, um nach dem Krieg ein besseres System zu etablieren, und da wird es dann theologisch. Sie formuliert es gleich im ersten Absatz und führt es später im Text noch aus: „…and that man, made in God‘s Image, should make things, as God makes them, for the sake of doing well a thing that is well worth doing“. Kurz, sie argumentiert mit der Gottesebenbildlichkeit, dem Lieblingskind heutiger Theologen. Für Sayers ist Gott ein Schöpfer, ein Macher von Dingen, und weil der Mensch nach seinem Bilde geschaffen ist, ist er ebenso Schöpfer und Macher. Ihre These ist, dass wir das tun sollen, was wir gut können und wollen, dass wir nicht einem Beruf, sondern einer Berufung folgen sollen, zur Ehre Gottes. Dann, so glaubt sie, würden wir alle nur das beste wollen und produzieren.
Ich schenke mir hier den Hinweis, dass wir eigentlich nur dann darüber diskutieren könnten, wenn zweifelsfrei Gott und die Richtigkeit der Bibel bewiesen wären (was nicht der Fall ist). Stattdessen werfen wir einen Blick auf die Gottesebenbildlichkeit, aus der sie ihre These herleitet. „Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei… Und Gott schuf den Menschen, ihn zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. (Gen.1,26-27)“ Ich habe hier den Plural fett markiert, der vielleicht noch einen Hinweis enthält, dass Jahwe ursprünglich ein lokaler Wetter- und Kriegsgott im Verbund mit seiner Gefährtin Aschera war. Dann würde auch die Hervorhebung, dass der Mensch als Mann und Frau geschaffen wurde, zurückverweisen auf das Götterpaar. „Bild“ meint hier wahrscheinlich einfach nur, dass Gott aussieht wie der Mensch (vgl. Heinz-Werner Kubitza, Der Dogmenwahn. Scheinprobleme der Theologie. Holzwege einer angemaßten Wissenschaft, 282ff.). Was Sayers tut, ist das dasselbe, wie in der Theologie verbreitet: Sie schreibt Gott Eigenschaften zu und überträgt die dann auf den Menschen. Unausgesprochen setzt sie voraus, dass die Schöpfung gut ist (darüber kann man durchaus anderer Meinung sein) und Gott stolz darauf ist, wenn sie schreibt: „God is not served by technical incompetence“. Immerhin ist es einigermaßen originell, im Zusammenhang mit der Gottesebenbildlichkeit mal was Anderes zu lesen als „Liebe“ und „Beziehung“…
Warum schreibe ich das alles hier? Könnte es nicht egal sein, warum wir dem Konsum und der Flut von Schrott etwas entgegen setzen sollten? Ich finde nicht: Wenn wir Sayers‘ Begründung akzeptieren, kaufen wir quasi den christlichen Rest dazu. Als Mitglied der Anglikanischen Kirche war Sayers der sogenannten High Church zugeneigt, also dem Teil, der mehr mit dem katholischen Glaubenssätzen verbunden ist als die sogen. Low Church. Und eben auch aufgrund des obigen Bibelzitats (als Mann und Frau schuf er sie) ist wie in der katholischen Kirche auch in der Anglikanischen Kirche ein Streit entbrannt bezüglich der Frage, ob Homosexualität abzulehnen ist. Die Bibelstelle ist nicht so unschuldig und edel, wie Sayers es in ihrem Essay aussehen lässt. Ich lehne auch die von mir als arrogant empfundene Weise ab, was Sayers als Beispiele für Berufung bringt, da fällt ihr kaum mehr als geistige Arbeit (ihre zum Beispiel) und Handwerk ein. Kann man sich tatsächlich vorstellen, dass man sich berufen fühlt für die Müllabfuhr, gibt es wirklich die Art und Weise, eine Mülltonne zu leeren, so dass Gott sich nicht beleidigt fühlt? Ganz im Gegensatz zu Sayers denke ich auch, dass der Müllwerker von der Gesellschaft Anerkennung erwarten darf, das ist schließlich eine für uns alle wichtige Arbeit. Das Ganze ist so eine abgehobene und weltfremde Betrachtung, dass man sie sich genauso gut schenken könnte.
Hier ist meine simple Begründung, warum wir uns mit Konsum und der Flut von Müll beschäftigen müssen: Nur Idioten sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen. Wenn nicht irgendjemand eine zweite Erde in der Hinterhand hat, sollte klar sein, dass unsere Ressourcen endlich sind und es reichlich bekloppt ist, sie für billigen Plastikscheiß aus China zu verdaddeln. Wie wir damit umgehen, das muss und kann diskutiert werden, da gibt es soviele Punkte, an denen wir ansetzen können, privat oder als Gesellschaft, politisch und geopolitisch. Wir können über Gesetze nachdenken, die Produzenten stärker in die Haftung ihrer Produkte nehmen und so der Obsoleszenz entgegen wirken, wir können über Kreisläufe nachdenken (Cradle to Cradle) und über Aufklärung, welche Auswirkungen unser Konsum hat. Wir können auch darüber nachdenken, warum der Mensch ist wie er ist (Evolutionärer Humanismus) und wie unsere Erkenntnisse dazu beitragen können, ihn in einen „besseren“ Menschen zu wandeln. Aber theologische Luftschlösser über das Wesen von Gott und Mensch brauchen wir definitiv nicht.
Ein Wort in eigener Sache: Ich diskutiere nicht über theologische Aussagen, das ist wie Luftgitarre spielen. Wer also meint, dass ich das gaaaanz falsch verstanden habe, und man die Gottesebenbildlichkeit so und so verstehen müsse… spart euch die Mühe, bitte.